So nun wieder mal ein Beitrag aus Sabines Geschichtenkiste, weil es so schön zum Thema "Welche Gebisse verwendet ihr" passt.
Reitsport im Wandel der Zeit
Als ich mich vor 30 Jahren zu meiner ersten Reitstunde anmeldete, sattelte der Pferdepfleger das Schulpferd Argo das erste Mal für mich. Mehr oder minder geduldig erklärte er mir die Riemen und Schnallen des Lederstückes, dass er dem Wallach ins Gesicht gehängt hatte: Genickstück mit Backenriemen – Schnallen nie öffnen! Kehlriemen am Genickstück - zum auf und abtrensen öffnen. Stirnband – drin lassen. Nasenriemen – seitliche Schnalle nie öffnen! Kinnriemen – zum auf- und abtrensen öffnen. Alle anderen Schnallen bleiben zu! Er deutete bei seiner Erklärung auf das jeweilige Teil des Zaumzeuges und meinte abschließend: „Solltest du trotzdem etwas anderes aufschnallen, als die beiden K-Riemen, nämlich Kehl- und Kinnriemen, kannst du zusehen, wie du die Teile hinter her wieder zusammenkriegst. Ich habe ich keine Zeit, euch Anfängern immer das Sattelzeug wieder zusammen zu setzen, weil ihr zu doof seid euch zwei Sachen zu merken!“
Natürlich trat seine Prophezeiung ein. Argos Kopfstück war in Einzelteile zerlegt nach dem ich es ihm ausgezogen hatte. Zum Glück waren wenigstens das Genickstück und der Kehlriemen fest verbunden, sonst hätte sich der sich Nasenriemen und die Backenstücke welche sich zusammen mit Zügeln die an den Trensenringen baumelten und ein hübsches Stilleben lieferten, doch weniger einsam gefühlt.
Kleinlaut präsentierte ich die Bescherung dem Pfleger, der daraufhin nur meinte: „ Was ein Segen, dass wenigstens der Sattel, abgesehen von den Bügelriemen und dem Sattelgurt aus einem Teil besteht, sonst hätte ich gar nichts anderes mehr zu tun, als zu basteln.“
Heute wäre das Betreuen der Anfänger beim fertig machen und „aufräumen“ der Pferde ein Ganztagsjob. Nein, nicht etwa weil so viele Menschen täglich den Reitsport für sich entdecken. Es hängt nur mittlerweile so viel „Gedöns“ am Pferd, dass selbst der fortgeschrittene Reitschüler Mühe hat, alles so zu verschnallen, dass das Pferd sich trotzdem noch bewegen kann. Zumal in manchen Vereinen sich die Unsitte verbreitet hat, Hilfszügel, wie z.B. den Ausbinder schon auf der Stallgasse ein zu schnallen, was die Balancestange Pferdehals natürlich außer Kraft setzt und einen Sturz bei etwaigem Verlust des Gleichgewichtes unausweichlich macht.
Nicht nur die Schulpferde werden zur Sicherheit des unsicheren Reiters mit Hilfsstricken gefesselt und geknebelt. Auch die Fortgeschrittenen grenzen den Stallmut ihres Pferdes gerne mal mit Martingal, Thiedemann-Kombination, Schlaufzügel, Gogue, Chambon und sonstigen interessanten Konstruktionen ein. Künstler zwischen Oxer und Tripelbare stehen dem natürlich auch nicht nach. Abenteuerliche Gebisskombinationen, wie z.B. Springkandare mit Hackemore, werden ergänzt durch Vorderzeuge mit Ringmartingalen, die den Zügel in der Art „brechen“, dass er in V-Form den Trensenring mit der Reiterhand verbindet. Das Gewicht des Leders am Pferd, scheint heute mehr zu wiegen, als das Pferd selbst.
Die Viereck-Akrobaten schonen ihre Reittiere auch nicht eben. Arbeit an der Hand bekommt einen ganz neuen Stellenwert. Aufsatzzügel, Dreieckszügel und Stoßzügel vorne halten den Kopf am richtigen Platz. Doppellonge und Hintergeschirr aktivieren das Hinterbein. So zum Postpaket verschnürt, fehlt nur noch eine Briefmarke und das gute Tier ist versandfertig.
Wie arbeitete man früher sein Reittier als es noch keine Myler-Gebisse und Longierhilfen gab, die einen drei-Tägigen Spezialkurs zur Anwendung erfordern. Mal ehrlich, wissen sie, ohne die Gebrauchsanleitung zu lesen, wie rum so ein Korrekturgebiss ins Pferdemaul gelegt wird?
Was hatten wir es damals einfach. Die Frage, welche Trense in die Backenstücke geschnallt wurde, stellte sich eigentlich nicht wirklich. Höchstens Olivenkopf- oder Wassertrense stand zur Debatte. Für die Pfefferstoßer im Viereck Kandare mit Unterleger. Auch die Materialfrage war schnell gelöst. Edelstahl hohl oder massiv, vielleicht auch mal Gummi – aber das schon ganz selten. Heute hat man die Qual der Wahl zwischen Gummi, Kunststoff mit und ohne Apfelgeschmack, Nathe, Edelstahl rostfrei, verrostetes Eisen – im Fachjargon Sweet Iron -, Argentan, Aurigan mit Edelstahlringen und Auriganringen... habe ich etwas vergessen? Ach ja das neurotische, nein, merothische Ledergebiss für die Softies unter den Equiden.
Selbstverständlich ist auch die Formgebung der Modelle immer den aktuellen Erkenntnissen der Forscher zum Wohl des Pferdes angepasst. Vielleicht auch zum Wohl des Geldbeutels der Reitsporthersteller. Jedenfalls müssen sie nicht erwarten, dass das an der Hansepferd gekaufte Pessoa-, Conrad- oder KK-Gebiss an der Equitana noch aktuell ist. Dazwischen gibt die Spoga in Köln, die Messe für den Reitsportfachhandel die Trends vor und setzt Maßstäbe rund ums Pferd. So ist die im Frühjahr für fast 200 Euro erstandene DS (Dressage Spezial)Kandare aus der KK Kollektion im Herbst bereits ersetzt durch die individuelle „Puzzle“-Kandare Sprenger Multi, bei der nicht nur die Stange austauschbar ist, sondern auch die Neigung der Zungenfreiheit im Maul des Pferdes veränderbar. Wen wundert da, dass der gute alte Sattelschrank immer mehr zum Waffenschrank mutiert. Was dort an metallischen „Pferdebremsen“ lagert ist an Wert bald mit dem Inhalt eines gut gefüllten Banksafes vergleichbar.
Bin ich nun antiquiert, wenn mein englisches Reithalfter sich nicht durch eine schwedische Rollschnalle verschließen lässt? Schon der Abschied vom guten alten hannoverschen Nasenriemen kostete mich Überwindung. Dem Pferd zuliebe, dessen anatomische Konstruktion des Kopfes die Nasentrompete ausgerechnet an der Stelle vorsieht, wo das Nasenband lag, kaufte ich ein neues, bei dem ich mich nicht als Tierquäler fühlen muss und die Gefahr banne, dass mein Pferd während des Ausrittes erstickt. Trotzdem bin ich immer noch der Ansicht, dass das hannoversche Reithalfter, korrekt mit einem Finger Luft am Kinnriemen und einer knappen Hand über dem oberen Nüsternrand, keinem je den Atem geraubt hätte. Oder auch nicht mehr, als ein festgezurrter Sperriemen, der zur Bändigung unerwünschter Maultätigkeit dem englischen Reithalfter beigefügt wird. Man will ja schließlich nichts dem Zufall überlassen! Apropos Verschnallung: das Mexikanische Reithalfter ist auch nicht mehr das, was es mal war. Erst vor kurzem bat mich eine Reitkollegin ihr beim anpassen eines solchen zu helfen. Aber wie wir auch kreuzten und schnallten, die vier Riemen, welche aus dem fellunterlegten Mittelstück lugten, fanden nicht zu einander und waren immer viel zu lang. Die Arme ritt dann ohne Nasenband, bis wir in einer Fachzeitschrift zufällig sahen, dass die oberen Lederstücke nicht wie einst zwei Finger breit unter, sondern direkt über dem Jochbein zu liegen haben und unter den Ganaschen geschlossen werden. Zum Glück hatte meine Bekannte die überständigen Lederbänder noch nicht abgeschnitten. Wieder was gelernt.
Nach wie vor bin ich aber auch der verstaubten Meinung, dass ein nach den Richtlinien zur Ausbildung des Pferdes seinem Alter entsprechend gearbeitetes Tier auch mit konventionellen Gebissen, Reithalftern und sonstigem Lederzeug in der Lage sein sollte, ausbalanciert in allen drei Grundgangarten und über den Rücken schwingend an die Reiterhand heran zu treten.
Was jedoch auf den Turnierplätzen geboten wird reicht von Rollkur, wahlweise mit und ohne Schlaufzügel bis Flexen, was mich ungemein an überzogenes „Riegeln“ erinnert, das bei uns noch mit „rechts und links abstellen zum Lösen der Halsmuskulatur“ schön geredet wurde. Wie immer man es nennen mag, es war zu meiner Zeit verpönt.
Auch Sinn und Unsinn des Schlaufzügels wurde reichlich diskutiert. Ich spreche diesem Hilfszügel seine Berechtigung bei der Korrektur von falsch gerittenen Pferden nicht ab. Aber in einer weniger kurzlebigen Zeit in der nicht endlos Nachschub zu Schnäppchenpreisen zu bekommen war, hatte man die Muße den Remonten auch mal noch ein Sommer Weide zu gönnen, wenn sie im Frühjahr dreijährig unter den Sattel kamen. Im Herbst, wenn die Pferde gut dreieinhalb waren, fing man mit der Ausbildung an. Schließlich hatte man mit dem künftigen Sportkameraden in die Zukunft investiert und wollte noch lange was von haben. Vierjährig dann die erste Materialprüfungen. Mit fünf dann A-Dressuren mit Gehorsamssprung, der manche Platzierung verhinderte. Eignungsprüfungen oder Aufbauprüfungen gab es nicht. Und es war auch nicht jedes Wochenende ein Turnier in der Nähe, das man besuchen konnte, so man Auto und Anhänger zur Verfügung hatte.
Es war sicherlich nicht alles schöner, besser oder toller. Aber der Wert oder die Wertigkeit des Pferdes wurde höher geschätzt. Zumindest von den Amateurreitern. Wenn das Pferd bei L begrenzt war, ritten wir eben L und übten in stiller Hoffnung weiter. Auf die Idee, das Pferd zu wechseln, kam keiner meiner Reiterkameraden. Viele hatten ihr Pferd als rohen Dreijährigen gekauft und machten sich die langjährige Arbeit es selbst auszubilden. Ein Pferdeleben lang behielt man es, das mehr Freund als Sportpartner war und gewährte ihm nach dem Gnadenbrot auch ein würdiges Sterben. Auf die Idee, den alten Kämpen „als Beisteller in gute Hände“ ab zu geben, weil man zu feige war, ihn auf dem letzten Weg zu begleiten, wäre ich nicht gekommen und auch keiner meiner Vereinskollegen.
Aber die Überlegung kommt mir nun, wurden die Sportpferde damals älter? Und das obwohl die Tiermedizin noch nicht so fortgeschritten war und die Futtermittelindustrie noch nicht für jeden Pferdetypus eine spezielle Müslimischung bereit hielt. Wie hielten eigentlich die Eisen, bevor Zusatzfuttermittel mit Biotin und Zink für gesunden Hufwachstum sorgten? Damit kein Missverständnis entsteht: Ich stelle mich dem Fortschritt nicht in den Weg, wenn er den Pferden zu Gute kommt. Vieles ist mit den Jahren besser geworden. Die Haltungs-bedingungen räumen den Tieren mehr Bewegungsfreiheit und ein artgerechteres Leben ein, als die reine Boxenhaft auf 3 x 3 Meter oder gar die Anbindeständer, in dem unsere Schulpferde vor 20 Jahren noch standen. Vieles rund ums Pferd ist heute leichter, einfacher oder zeitsparender. Auch die Sicherheit von Reiter und Pferd ist nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten vor einem Vierteljahrhundert.
Trotzdem habe ich das Gefühl, dass der Partner Pferd immer weniger im Mittelpunkt steht. Die Degradierung zum Sportgerät, das bei Fehlfunktion oder Unbrauchbarkeit ersetzt wird, ist immer spürbarer. Dabei gibt es doch gerade in den letzten Jahren vom Tierheilpraktiker über Rehazentren bis zum weitreichenden Angebot der Pferdetrainer die mit Join up und ähnlichem die Pferdeseele heilen so viele Möglichkeiten wie nie, die Equiden glücklich zu machen.
Und auch der Reiternachwuchs hat heute alle Chancen, um die seine Mütter und Väter ihn beneidet hätten. Aber auch hier ist der Ton rauher geworden. An den Jugendturnieren starten 13 oder 14 jährige in Lederstiefeln mit Sporen und 100-Euro-Reitkappen, die ihr Pony als Bock und Scheißtier bezeichnen und wenn der Erfolg ausbleibt, war der blöde Zosse schuld. Meine ersten Lederstiefel erhielt ich mit 17 Jahren und die Sporen dafür musste ich mir verdienen. Dafür ging ich durch eine harte Schule, die manche Träne fließen ließ. Wenn das Schulpferd Tino mich mal wieder nach Runden des rasanten Galoppierens in der Ecke verlor, half mir der Reitlehrer nicht etwa mit Worten des Trostes aus der Lohe, sondern faltete mein Selbstbewusstsein endgültig in dem er brüllte: “Wann kommst du endlich auf die Füße und fängst das Pferd ein? Soll er noch in den Zügel treten oder was, nachdem du ihn so erschreckt hast?“ Am Halleneingang stand dann auch zu lesen: Merke! Dein Pferd hat niemals schuld!
Ich habe auch nur einmal gewagt, der besseren Kontrolle wegen, um einen Stoßzügel zu bitten. Der 10-Minuten anhaltende Vortrag über den Missbrauch von Hilfszügeln von Leuten, die ihre eigene Unfähigkeit zu verstecken suchen, indem sie ihrem Pferd kiloweise Leder umhängten endete mit den Worten: „ Lernt erst mal reiten, bevor ihr die armen Viecher traktiert!“ Zum Schlaufzügel vertrat er die Ansicht: „ In der Hand eines Diletanten wirkt er wie das Rasiermesser in der Pfote eines Affen!“
Daran denke ich oft, wenn ich abends in den Vereinshallen die gestressten Pferdebesitzer treffe, die vor einem gepflegten Feierabendbierchen im Casino noch schnell den Gaul geritten kriegen müssen. Damit man schneller fertig ist und nicht so sehr ins Schwitzen kommt, denn schließlich soll ja das Pferd arbeiten, hat der Besitzer doch bereits acht Stunden Tagwerk hinter sich gebracht, hängt man gerne „Schlaufis“ in die Trensenringe. Vorne ziehen - hinten treten. Ein Ruck ins Maul, schon steht der Gaul. Ein Wink mit dem Knüppel, dann geht der Krüppel. Leitsätze, die den Halleneingang zieren, wo früher zu lesen stand stand: Behandle ein Pferd wie deinen besten Freund – mit Respekt und Wohlwollen. Vielleicht ist es dass was mir heute so fehlt und was mich mit Wehmut an die gute alte Zeit denken lässt.
_________________________________________________
Geh Wege, die noch niemand ging, damit Du Spuren hinterläßt
Antoine De Saint-Exupéry