Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt
Heute morgen beschloss ich nach Monaten der Reitabstinenz mal wieder auf ein Pferd zu steigen. Mag sein, dass mich Anky´s Goldritt in Athen dieser Tage inspiriert hat. Es sieht ja auch immer so einfach aus, wenn sie mit Salinero Traversalen und fliegende Wechsel in den Sand des 60-er Vierecks zaubert oder Pirouetten auf dem Teller dreht. Jedenfalls motivierte mich das Gesehene ungemein, meine Pferde wieder einmal mit dem Sattel zu beglücken.
Leider scheint das Unterfangen jetzt bereits vor dem Kleiderschrank zu scheitern. Meine Reithosen sind nämlich allesamt in der letzten Wäsche eingegangen. Jawohl! Eine andere Erklärung habe ich nicht dafür, dass keine der teuren Teile mehr passt. Und dass, obwohl ich beim ersten Versuch noch zerrte und zog, bis der Faden, der den Hosenbund mit dem Rest verband ein Einsehen hatte und nachgab. Das verwendete Material ist heute auch nicht mehr das, was es mal war. Vielleicht war das Fädchen ja auch altersbedingt etwas Morsch geworden. Modell zwei, in das ich mich zwänge, lässt sich dann aber – meiner Sorgfalt und Vorsicht sei Dank - sogar bis über den Po ziehen. Vorne trennen die beiden Zahnreihen des Reißverschlusses jedoch Welten und machten ein Zusammenfinden unmöglich. Sie konnten zusammen nicht kommen, der Bauch war immer im Weg. War diese Hose denn immer schon so verschnitten gewesen? Was unten passt, kann doch oben nicht so auseinander klaffen. Also, die dritte Büxe aus dem Schrank geholt. Tja, selbst beim besten Willen, muss ich hier kampflos aufgeben und einsehen, dass jeder Versuch dieses Höschen auch nur bis über die Knie zu bekommen zum Scheitern verurteilt sein wird. Ich suchte das Etikett. Größe 38! Wann hatte ich die denn zum letzten Mal getragen? Kurz nach der Konfirmation?
Mein Kleiderschrank gibt nichts mehr her. Also, muss ich wohl in den sauren Apfel beißen und mir neue Beinkleider anschaffen, wenn ich mit dem Training für Olympia 2008 noch rechtzeitig anfangen will.
Ich finde auch nach kurzer Zeit eine Reithose in schwarz ( das macht schlank!) mit Clarino-Vollbesatz (schließlich will ich ja nicht im Sattel herumrutschen, wie ein Spiegelei in der Teflonpfanne) in Größe 42. 42!!! Wenn ich weiter so zulege, kann ich demnächst meine Klamotten in der Zeltabteilung von Intersport kaufen. Trostreich ist nur der Hinweis der Verkäuferin, dass das Modell in Italien hergestellt wurde und die schneidern bekanntlich kleiner. Wie gesagt, es tröstet mich, aber einen logischen Zusammenhang zwischen Italien und kleineren Schnitten kann ich nicht erkennen. Dank Pizza und Pasta sehen die italienischen Mamas doch nicht unbedingt wie Claudia Schiffer oder Naomi Campbell aus, eher wie Madame Kubik – Höhe mal Breite. Ich lasse das verräterische Größenetikett, dieses Zeugnis meiner Zügellosigkeit und Naschsucht natürlich noch im Geschäft per Schere entfernen.
Die Hose habe ich im übrigen gleich im Laden anbehalten, wer weiß, was mir sonst zuhause für Überraschungen drohen, falls das gute Stück dann auf dem Nachhauseweg in der Tragetüte auf Kindergröße schrumpft. Also Ulla und Anky, zieht euch warm an, ich komme.
Hindernis Nummer zwei lauert aber schon im Schuhschrank. Meine Reitstiefel haben ihr verlängertes Winterschläfchen gestützt von Stiefelstrecker und Schuhspanner wohlbehalten überstanden. Also, hinein in die Lederröhren. Leider klappt das ohne Stiefelanzieher nicht.
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Für alle die, die so ein Teil noch nie benutzen mussten, weil sie entweder unter Muskelschwund an den Waden leiden oder schlank genug sind, ohne Hilfsmittel in ihre Stiefel zu gleiten, oder Reitstiefel in weiser Voraussicht auf etwaige Zunahmen des Körperumfanges – hier insbesondere an den Beinen – zwei Wadenweiten größer anschaffen, als zum Zeitpunkt des Kaufes benötigt. Also, für alle jene sei hier die Funktion dieser Fleischerhaken ähnlichen Teile erklärt. Von geschickter Hand geführt, fädeln sie die im Stiefelschaft angenähten Laschen auf, mit dem Zweck, den widerborstigen Stiefelschaft über die Wade bis unters Knie zu ziehen, ohne sich dabei die Finger zu verklemmen. Es wäre ja nicht unbedingt geschickt, wenn die Hand des Reiters zwischen Wade und Stiefelschaft festsitzt, zumal er dann um Hilfe bitten müsste, damit er aus der misslichen Lage befreit wird – notfalls mittels scharfem Messer. Ob der Stiefelbesitzer dann allerdings lieber seine Hand oder den Stiefel opfert, liegt ganz in seiner Entscheidungsfreiheit.
Jedenfalls brauche ich einen solchen Stiefelanzieher und zwar dringend. Die Suche verläuft wider Erwarten schon nach 30 Minuten erfolgreich – es lebe das geordnete Chaos! Jetzt beginnt der eigentlich schwierigste Teil – das Einfädeln der Laschen! Kaum hat man die der rechten Seite auf dem Haken, flutscht die linke Seite wieder raus. Das Unterfangen gleicht einem Geduldsspiel, in etwa wie jene, die wir als Kinder oft geschenkt bekamen. Kennen Sie diese durchsichtigen, runden Plastikschächtelchen auf deren Grund eine Katze, wahlweise ein Hund, Teddybär oder ähnliches Getier mit zwei Augen abgebildet ist. Jene Augen aber bestehen aus zwei ausgestanzten Vertiefungen, in die es die beiden, sich frei im Schächtelchen beweglichen Kügelchen mittels hin und her drehen des Schächtelchens von Seiten des Spielers zu versenken gilt, damit das auf dem Grund abgebildete Tier zwei Kugelaugen erhält aus denen es den Geduldsspieler nach erfolgreicher Versenkung der Kügelchen in die dafür vorgesehenen Vertiefungen mehr oder minder blöde anstarrt. Gewaltsames Öffnen des Schächtelchens und manuelles Einsetzen der Kügelchen in die dafür vorgesehenen Vertiefungen ist bei dem Spiel nicht vorgesehen, verkürzt es aber erheblich. Allerdings kann man es dann auch nicht mehr als Geduldsspiel bezeichnen, weil man eben jene nicht bewiesen hat. Kapiert? Wenn nicht, auch nicht so schlimm, wir wollten ja nun keine Kügelchen versenken, sondern Reitstiefel anziehen!
Das klappt beim ca. fünften Versuch mit Stiefel Nummer eins ganz wunderbar. Flutsch – drin ... fast. Die Wade bremst, aber schlussendlich bin ich doch drin. Juhu, ich bin drin! Wade Nummer zwei lässt sich nicht ganz so leicht bezwingen. Es ist ein echter Kraftakt und durch die ganzen Anstrengungen habe ich mit Sicherheit schon ein Kilo abgenommen – mindestens! Vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt, aber Reiten ist wahrscheinlich der einzige Sport, bei dem man beim Anziehen mehr Kalorien verliert, als bei der Ausübung desselben. Mein Hosenbund sitzt auf jeden Fall schon deutlich lockerer um meine Taille. Leider fange ich jetzt auch an zu schwitzen und meine Hände werden feucht. Meine Füße auch. Während aber meine Hände immer rutschiger werden, bremsen meine Füße immer mehr auf dem nun auch innen feuchten Leder des Stiefels. Bevor ich das nächste Mal reiten gehe, kaufe ich mir eine Familienpackung Talkum. Dann hat der Fuß oder der Stiefel ein Einsehen. Pffft macht es und mein Bein steckt im Stiefel.
Allerdings fängt nun meine Wade heftig an zu pochen und meine Zehen fühlen sich bereits taub an. Hilfe! Mein Bein stirbt ab! Ich versuche nun in fliegender Hast den Stiefel los zu werden, in dem meine Wade wie in einem Schraubstock sitzt und hüpfe auf einem Bein durchs Haus, auf der Suche nach dem Stiefelauszieher.
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Die Situation erlaubt mir nun leider nicht dem geneigten Leser die Funktion eines Stiefelausziehers zu erklären, denn ich glaube die Blutzirkulation in meinen unteren Extremitäten ist nun total blockiert. Ich spüre vom Knie abwärts nichts mehr. Mein Fuß ist ein gefühlloser Klumpen.
Im Schuhschrank werde ich fündig. Wer hat denn den Stiefelanzieher in den Schuhschrank geräumt? Egal, ich muss mir schnellstens Erleichterung verschaffen. Wie lange darf der Blutfluss eigentlich unterbrochen werden, bevor das betroffene Körperglied schwarz wir und abfällt? Steht das im Gesundheitsbuch? Aber wenn ja unter was? A- wie abgefallene Körperteile? Oder unter B – wie kurz und knapp Bein ab?
Wenn es vorher anstrengend war, den Stiefel anzuziehen, habe ich nun kein Adjektiv mehr, das annähernd beschreibt, was es mich an Kraftaufwand kostet, das verflixte Ledermonster wieder los zu werden, das sich an mein Bein angesaugt hat. Ziehen, zerren ... Mist, jetzt ist der Absatz ab! Ich erwäge bereits ein Messer zu holen um mich aus der Umklammerung meines Stiefels zu befreien, da gibt er endlich nach. Die Wucht der unvorbereiteten Loslassens haut mich um. Ich lande auf dem Steißbein. Es raubt mir die Luft. Trotzdem ist dieser Schmerz nichts im Vergleich zu der Qual im Stiefel fest zu stecken.
Mühsam erhebe ich mich. Mit der schmerzenden Hinterfront ist mir die Lust am Reitsport für heute vergangen. Ich werde erst einmal meine Stiefel zum Weiten und Absatz ankleben bringen ... das heißt, wenn ich wieder auf meinem lädierten verlängerten Rückrad sitzen kann, um zum Schuster zu fahren. Bis dahin liegt Olympia 2008 erst mal auf Eis. Ulla und Anky, Ihr braucht euch keine Sorgen mehr zu machen, in Ermangelung geeigneter Trainingskleidung verschiebe ich meine Medaillenambitionen erst mal um weitere vier Jahre. Dann bin ich zwar acht Jahre älter als heut, aber ihr auch. Im Dressursport hindert fortgeschrittenes Alter ja auch nicht am Gewinnen. Schließlich waren Neckermann und Klimke der Pubertät auch längst entwachsen, als sie ihre größten Erfolge feiern durften.
Vielleicht habe ich ja bis 2012 sogar abgenommen. Oder das Westernreiten wird olympische Disziplin und ich muss mich nicht mehr in Reithose und Stiefel quetschen. Der Sattel ist natürlich gewöhnungsbedürftig, aber was sind zu Anfang des Trainings ein paar Hämatome am Venushügel, nachdem man das Sattelhorn touchiert hat, wenn ich dafür in Boots und Jeans mit figurkaschierenden Chaps drüber reiten kann. Außerdem haben mir schon einige Umsteiger glaubhaft versichert, dass man einen Westerntrainer schon verhältnismäßig günstig buchen kann. Viel teurer als Dressuruntericht ist das wohl auch nicht. Auch die Anschaffung von ein paar Rindern zum Cutting üben, sind vergleichsweise zur Schinderei vor dem Dressurreiten Peanuts. Es gilt nur noch meine Familie von der Notwendigkeit der Veränderungen in unserem Pferdebestand zu überzeugen. Schließlich kann ich unseren hochsensiblen Trakehnern kein so wildes Treiben zumuten. Da müssten schon ein paar Quarter Horses angeschafft werden. Ob der Hallenboden ausgetauscht werden muss? Die Ansprüche an den Sand sind vermutlich andere als in der Dressur. Allerdings denke ich jetzt, wo mir die Tragweite des Unterfangens bewusst wird, dass ich es vielleicht doch lieber mit einer Diät versuche und bis dahin bleibt mein Pferd auf der Weide.